„Spotlight – Blick hinter die Kulissen“ – Folge 41 vom 26. April 2023
Aus welcher Zeit stammen die gezeigten Objekte aus der Sammlung des Linden-Museums?
Darauf gibt es zwei Antworten. Zum einen kann man auf die Entstehungszeit der Objekte schauen. Die frühesten Objekte, die aus unseren Sammlungen gezeigt werden, sind im 10. Jahrhundert entstanden, die jüngsten datieren aus dem Jahr 2018. Dabei handelt es sich um zeitgenössische Kunstwerke, die wir für das Linden-Museum Stuttgart erworben und in die Ausstellung eingebracht haben. Die andere Möglichkeit ist darauf zu schauen, wann die Objekte ins Linden-Museum gekommen sind. Damit verbunden ist die Frage nach der Provenienz, nach kolonialem oder späterem Unrecht. Das dürfte viele Besucher:innen interessieren. Es ist jedoch deutlich schwieriger zu beantworten, denn es gibt in dieser Ausstellung kein Objekt, das in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in die Sammlungen des Linden-Museums kam. Auch in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg ist wenig erworben worden, das man heute in dieser Ausstellung präsentieren könnte. Erst nachdem das Linden-Museum ein Landesmuseum geworden war, also nach 1973, gab es Mittel aus denen im Kunsthandel Objekte angekauft werden konnten. Mit meinem Vorgänger, Dr. Kreisel, war ein Spezialist für die Kunstgeschichte Indiens eingestellt worden, der dann beauftragt wurde, eine Sammlung indischer Kunst neu aufzubauen. Das hat er auf sehr gründliche, umfassende und enzyklopädische Weise getan. Er verfügte über ein großes Netzwerk an Kenner:innen, Kunsthändler:innen und Auktionshäusern, die ihm immer wieder Dinge vorschlugen, von denen er die kunsthistorisch bedeutendsten erwarb. Das Traurige ist nur, wir wissen heute leider meist nicht, wie diese Objekte in den Kunsthandel gekommen sind, weil das damals noch nicht so ein wichtiges Thema war wie heute. Ich kann Ihnen für solche Objekte sagen, bei welchem Aktionshaus und in welchem Jahr es erworben wurde, oder von welcher Kunstgalerie, aber ich kann in meisten Fällen nicht sagen, wie diese Objekte dort hingekommen sind. Deshalb ist das Thema Provenienz in der Ausstellung auch weniger prominent behandelt als in anderen. Im Moment ist der Fokus noch sehr auf kolonialem Unrecht und der Restitution von Objekten aus kolonialen Gewaltkontexten. Aber ich sehe den Kunsthandel schon als das nächste Thema, weil da in einer viel späteren Zeit – seit den 1970er-Jahren bis in die frühen 2000er-Jahre – Objekte erworben worden sind, ohne sich viele Gedanken über die Ausfuhrbestimmungen der Herkunftsländer zu machen. Wir wissen, dass auch in Herkunftsländern wie Indien sehr viel Kunsthandel und Kunstschmuggel gegeben hat und dass die europäischen Händler:innen und jene vor Ort in einem Netzwerk agierten. Wie genau es ablief, wissen wir aber in den wenigsten Fällen. Es gibt gegenwärtig von indischer Seite immer mehr Bemühungen, Dinge zurückzuerhalten, die nach dem Ende der Kolonialzeit illegal außer Landes geschmuggelt wurden. Ein Objekt ist aus der Sammlung des Linden-Museums 2015 nach Indien zurückgegeben worden. Im Moment läuft das Verfahren für ein weiteres Objekt, das in der Ausstellung zu sehen ist.
Dr. Georg Noack,
Kurator Ostasien und Festland-Südostasien,
Linden-Museum Stuttgart