„Spotlight – Blick hinter die Kulissen“ – Folge 43 vom 16. Mai 2023

Welche Darstellung von Shiva gab es und wieso sind die ausgestellten männlichen Götterstatuen fast alle androgyn dargestellt?

Welche Darstellung von Shiva gab es und wieso sind die ausgestellten männlichen Götterstatuen fast alle androgyn dargestellt?

Grundsätzlich ist es so, dass es die Vorstellung von dem abstrakten absoluten Göttlichen gibt, was sich dann in verschiedenen Göttern manifestiert, die aber wiederum in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen auftauchen können. Shiva ist eine Manifestation des Absoluten, des Göttlichen, zeigt sich aber in verschiedenen, legendär überlieferten Situationen den Menschen in ganz unterschiedlicher Form. Diese unterschiedlichen Manifestationen der Götter – auch Vishnu hat eine große Zahl unterschiedlichere Erscheinungsformen, Devi, die große Göttin ebenso – spielen in überlieferten Legenden eine Rolle. Sie werden an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen Tempeln verehrt, je nachdem, welchen Aspekt einer Gottheit gerade in den Vordergrund gerückt werden soll. Eine genaue Zahl kann ich nicht nennen. Bei Vishnu gibt es zehn Avatāras. Avatār(a) ist das Sanskrit-Wort für die Erscheinungsformen Vishnus. Der Begriff kommt aus dem Sanskrit und hat darüber seinen Weg ins Internet und auch in die Kinos gefunden. Darüber hinaus gibt es aber auch von Vishnu noch lokal verehrte Erscheinungsformen. Bei Shiva ist die Zahl meines Wissens sogar noch größer. Was das Erscheinungsbild von Göttern angeht oder auch von Asketen wie dem Buddha beispielsweise, ist es so, dass sie stark geprägt sind von lokalen, auch zeitbedingten Schönheitsidealen. Während die Statuen hier in Europa über einen sehr langen Zeitraum von griechisch-römischen Schönheitsidealen und damit vom Ideal des muskulösen Athleten geprägt waren, hat es dieses Schönheitsideal so in Indien nicht gegeben. Es ist eher der schlanke, der elegante, der weiche Körper des Yogi, der eine Rolle spielt. Dieser Körper erscheint nicht so muskelbepackt und mag von daher etwas weich, feminin auf uns Europäer wirken, die andere Skulpturen gewohnt sind. Das ist aber nicht als Weiblichkeit gedacht, sondern es ist einfach ein anderes Schönheitsideal.

Dr. Georg Noack,
Kurator Ostasien und Festland-Südostasien,
Linden-Museum Stuttgart